June 10, 2021
Prof. Dr. Wolfgang Merkle

Purpose: Die Suche nach dem Sinn – vom Schlagwort zum Wirtschaftsfaktor

Eine Hand hält einen Kompass, im Hintergrund Bäume und Berge

›Purpose‹ – das ist ein Begriff, der in der aktuellen Marketing- und Management-Welt immer häufiger diskutiert wird. Denn wir leben in einer Zeit einer zunehmend kritischeren Gesellschaft, ausgelöst durch ein gestiegenes Umweltbewusstsein und einem wachsenden Anspruchsniveau der Konsumenten. Immer mehr Menschen kaufen und konsumieren Produkte, die einen expliziten, positiven Beitrag zu Umwelt und gesellschaftlichem Gemeinwohl leisten. Sie suchen in einem Überangebot von Marken nach jenen, die über ihre Einstellung und ihr Handeln dazu beitragen, genau in diesen Feldern einen konkreten Beitrag zu leisten. Und mit denen sie sich im Ergebnis identifizieren können, wie zum Beispiel bei der Sneakermarke Allbirds, die während des ›Black Friday‹-Events im Gegensatz zu allen Wettbewerbern ihre Preise sogar noch erhöhen, um die Zusatzeinnahmen für die ›Fridays-for-Future‹-Bewegung zu spenden. Oder die nachhaltige Marke Followfood, die einen Teil der Verkaufserlöse in einen Fonds investiert, der die regenerative Landwirtschaft fördert.

Die Diskussion um den Purpose (wörtlich ›Zweck‹, aber auch ›Sinn‹ und ›Bestimmung‹) eines Unternehmens ist nicht ganz neu, das Bemühen darum gibt es schon länger und ist damit nicht nur ein Trendthema. Ein Purpose gibt das fundamentale Ziel eines Unternehmens an, es zeigt den Antrieb, die innere Überzeugung und die Richtung. Bekannte Beispiele für wirkungsvolle und damit erfolgsstiftende Purposes liefern Disney mit ihrem »Our Purpose is to create happiness« oder Harley Davidson mit »We fulfill dreams of personal freedom«.

Eine noch höhere Bedeutung hat das Thema jedoch durch die gesellschaftlichen Veränderungen mit einem gestiegenen ökologischen und sozialen Bewusstsein erlangt. Mit permanentem Zugriff auf Wissen sowie gesteigerter Transparenz unternehmerischer Aktivitäten durch soziale Netzwerke und digitale Medien werden Glaubwürdigkeit und Vertrauen in Unternehmen noch stärker hinterfragt. Die Öffentlichkeit möchte wissen, unter welchen Bedingungen Fleisch und Geflügel großgezogen und geschlachtet werden oder ob sich manche Nachhaltigkeits-Kampagne nicht doch als reine Greenwashing‹-Maßnahme entpuppt.

Zudem hat sich auch die Einstellung zur Arbeit verändert, gerade auch Mitarbeiter stellen zunehmend die Sinnfrage und zwingen Unternehmen zum Umdenken – neben dem zunehmenden Wettbewerbs- und Profitabilitätsdruck ist nun auch der Integritätsdruck gestiegen. Unternehmen sehen sich heute nicht nur durch die Ansprüche der Eigentümer konfrontiert, sondern zunehmend auch von Kunden und Mitarbeitern und somit, weiter gefasst, der Umwelt und Gesellschaft insgesamt.

Wirtschaftlicher Erfolg ist nicht länger nur eine betriebswirtschaftliche Kennzahl, sondern beinhaltet auch motivierte Mitarbeiter sowie Glaubwürdigkeit und Vertrauen in die Organisation. Und gerade Purpose-orientierte Unternehmen verstehen es, die Steigerung des Gemeinwohls und den notwendigen Profit miteinander in Einklang zu bringen – über eine glaubwürdige Einstellung, eindeutige Ausrichtung und ganzheitliche unternehmerische Orientierung des Unternehmens, insbesondere auch zum Umweltschutz und gesellschaftlichem Gemeinwohl. Ein Purpose wird damit zum Wettbewerbsvorteil; manche Studien zeigen sogar, dass Purpose-orientierte Unternehmen profitabler sein können als ihre Wettbewerber.

Worum geht es beim ›Purpose‹, was unterscheidet ihn von den allzu oft synonym genutzten und inhaltlich eng verwandten Begriffen wie ›Vision‹ und ›Mission‹ und was differenziert das Thema vom Konzept der ›Corporate Social Responsibility‹?

Ein Purpose möchte über das unternehmerische Handeln einen positiven Beitrag zur gesellschaftlichen Entwicklung leisten – im Gegensatz und in bewusster Erweiterung zum Konzept der CSR, bei dem vornehmlich die negativen Auswirkungen des eigenen Handelns eingeschränkt werden. Ein Purpose definiert, welchen Beitrag ein Unternehmen für alle Stakeholder anstrebt; er erklärt, warum eine Organisation besteht. So steht beispielsweise die Outdoormarke Patagonia in der Textilindustrie inzwischen als Benchmark für eine nachhaltige Produktion von Textilien und deren Recycling zu neuen Textilien. Und das Berliner Start Up Share verfolgt den Purpose, »jedem Menschen ein menschenwürdiges Leben zu ermöglichen«.

» Ein Purpose definiert, welchen Beitrag ein Unternehmen für seine Stakeholder anstrebt.

Aus dem Purpose wird unmittelbar die Vision eines Unternehmens abgeleitet, ist greifbar formuliert und beschreibt das Ziel, das erreicht werden soll – sie erklärt, wohin eine Organisation strebt: »Jedem Menschen Zugang zu Essen, Trinken und Hygiene zu ermöglichen« heißt es demzufolge bei Share. Die Mission schließlich beschreibt den strategischen Weg, wie die Vision erreicht werden soll – sie sagt, was getan werden muss, um das Ziel zu erreichen.

In der Corona-Krise wurde das neue Bewusstsein der Gesellschaft offensichtlich noch einmal gestärkt. In einer Zeit von Einschränkungen, Enge und Sorge haben sich Menschen noch intensiver mit der Frage beschäftigt, nach welchen Grundsätzen Unternehmensentscheidungen getroffen werden. Zum Beispiel über die Sensibilisierung für die enorme Bedeutung von Berufen wie der Krankenpflege und dem Hinterfragen, was eine gerechte Bezahlung dafür ist. Über ein zunehmend kritischeres Bewusstsein gegenüber den Produktionsbedingungen in der Industrie. Oder einer generellen Hinterfragung unserer Wegwerfgesellschaft.

Ein klarer und authentischer Purpose zeigt, dass ein Unternehmen jenseits oberflächlicher Werbebotschaften Verantwortung übernimmt. Er verleiht einer Marke Kraft, er zeigt den Wertbeitrag für Kunden und Gesellschaft auf und wirkt damit in hohem Maße wertsteigernd. Ein überzeugender und durchgängig gelebter Purpose ist damit im aktuellen Umfeld weniger eine Modeerscheinung, denn eine absolute Selbstverständlichkeit.

Autor

Prof. Dr. Wolfgang Merkle
Speaking. Sparring. Consulting.
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